Informationen zur Tätigkeit des psychologischen Sachverständigen
Fragen zu den Qualitätsstandards familienpsychologischer Gutachten im vom Familiengericht Ibbenbüren initiierten Arbeitskreis „Kind in Trennung und Scheidung“ haben uns veranlasst, den Stand der Diskussion innerhalb des Berufsstandes zusammenzufassen und auch Informationen zum Berufsstand selbst zu vermitteln, die hiermit auch auf unserer Internetseite veröffentlicht werden. Als Hintergrund sei hierzu angemerkt, dass es zwei große Berufsverbände in der Psychologie gibt: Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) als Hauptvertretung der wissenschaftlich tätigen Psychologen sowie den Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) als Vertretung der in der Berufspraxis tätigen Psychologen. Die Berufsbezeichnung Psychologe ist mittlerweile gesetzlich geschützt und darf nur von Psychologen mit Diplom- oder Masterabschluss getragen werden. Ebenso geschützt ist die Berufsbezeichnung Psychotherapeut (= Psychologen oder Ärzte mit Zusatzqualifikation Psychotherapie), mit der bis zur Novellierung des Psychotherapiegesetzes (1998) auch Heilpraktiker noch reüssieren durften, was seitens der Berufsvertretung sicherlich zu Recht als ehrenrührig betrachtet wurde.
Hierzu einige Begriffsklärungen: Der Diplom-Psychologe oder Psychologe mit Master-Abschluss ist keine Berufsbezeichnung, sondern ein akademischer Grad, der jedoch zur Berufsausübung in den meisten Tätigkeitsfeldern psychologischer Arbeit berechtigt, u.a. zur Tätigkeit als gerichtlich bestellter Sachverständiger (v.a. Familiengericht, Strafgericht, Sozialgericht). Therapeutische Tätigkeiten stehen hingegen unter dem sog. „Approbationsvorbehalt“ und sind solchen Psychologen vorbehalten, die Kraft einer (mittlerweile sehr aufwändigen) postgraduierten Ausbildung zum Psychotherapeuten ausgebildet und – wie die ärztlichen Kollegen – approbiert werden. Therapeuten haben häufig eine sozialrechtliche Zulassung (Kassensitz) und können ihre Tätigkeit über die kassenärztliche Vereinigung mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Die sozialrechtliche Zulassung hat unmittelbar nichts mit Qualität oder Eignung eines Therapeuten zu tun. Sie setzt aber die Approbation als Psychotherapeut und die nachgewiesene Fachkunde in einem der zugelassenen Therapieverfahren voraus. Approbierte Therapeuten mit Fachkundenachweis können sich im Arztregister der regionalen Kassenärztlichen Vereinigung eintragen. Bei Psychotherapeuten in Privatpraxis setzen die privaten Krankenkassen in der Regel diesen Arztregistereintrag voraus, sodass damit die Qualität insoweit gesichert ist, als auch der in privater Praxis tätige Therapeut damit zwangsläufig über Approbation und Fachkundenachweis verfügen muss, auch wenn nicht alle privaten Kassen das voraussetzen.
Für die gutachterliche Tätigkeit von Psychologen besteht kein Approbationsvorbehalt. Im Übrigen sind auch klinische Diagnosen, d.h. die Feststellung von psychischen Störungen, nicht approbierten Psychotherapeuten vorbehalten (s.u.). Bei sogenannten Fachpsychologen (z.B. für Wirtschaftspsychologie, Verkehrspsychologie, Supervision, Rechtspsychologie) handelt es sich um Psychologen, die durch Teilnahme an einer umfassenden theoretischen und praktischen Fortbildung ein Zertifikat des Berufsverbandes erworben haben.
Die Fortbildung zum „Fachpsychologen für Rechtspsychologie“ sieht beispielsweise einen zeitlichen Umfang von 375 Stunden (240 h Weiterbildungsseminare, 120 h Arbeit und Supervision im Fachteam, Falldarstellungen, Berufspraxis) und eine Prüfung vor.
Die DGPs und der BDP betreiben berufspolitische Projekte gemeinsam als sog. „Föderation deutscher Psychologenverbände“. Diese Information ist insofern relevant, da sowohl die empfohlenen Richtlinien für eine Begutachtung, die ethischen Prinzipien der Psychologischen Berufsausübung und Berufsordnung, als auch die Anforderungen der Fortbildung zum „Fachpsychologen für Rechtspsychologie“ von der Föderation herausgegeben werden. Fortbildung und Empfehlung berücksichtigen daher sowohl die Wissenschaftlichkeit als auch die Berufspraxis und beruhen auf einem sehr breiten Konsens innerhalb des Berufsstandes. Es gibt jedoch auch ganz andere Ansätze der familienpsychologischen Begutachtung, beispielsweise ist hier die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Jopt zu nennen, die eine eigene, nicht im engeren Sinne wissenschaftlich orientierte Arbeitsweise entwickelt hat und die mit ihrem sog. „lösungsorientierten Ansatz“ die Diskussion zwischen den am familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Berufsgruppen sicherlich stark beeinflusst hat. Zur Darstellung dieses Ansatzes wird auf die zahlreichen Publikationen Prof. Jopts und anderer Vertreter dieses Ansatzes verwiesen; die Diskussion hier beschränkt sich auf den Mainstream der Lehrmeinungen, mit dem faktisch die meisten im Familienrecht tätigen Juristen durch die Arbeit von psychologischen Sachverständigen in mehr oder minder sachgerechter Arbeitsweise konfrontiert werden.
Zu den einflussreichsten Arbeitsgruppen der wissenschaftlich fundierten familienpsychologischen Begutachtung in Deutschland zählen das „Institut für Gericht und Familie“ (IGF) in Berlin (u.a. Prof. Dr. Dettenborn, Dr. Walter, Dr. Balloff) und die „Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie“ (GWG , u.a. Dr. Salzbgeber; diese Aufzählung ist natürlich nicht vollzählig).
Konsens in der Psychologie ist hierbei, dass ein qualitatives Gutachten Kriterien zu genügen hat, wie sie an jede wissenschaftliche Arbeit zu stellen sind: Das Gutachten muss objektiv (also unabhängig von der Person des Sachverständigen und dessen persönlichen Haltungen), nachvollziehbar (d.h. transparent) und replizierbar sein. Der Sachverständige (SV) soll erklären, was er wann mit wem und warum gemacht hat. Es soll also formal der Untersuchungsverlauf dargestellt werden. Das Gutachten soll darüber aufklären, welche untersuchungsleitenden Hypothesen sowie psychologischen Kriterien (z.B. Förderkompetenz, Bindungstoleranz) der Arbeit zugrunde lagen. Es soll aufklären, mittels welcher Methoden die Kriterien/Hypothesen untersucht wurden. Die Methoden selbst sollen hierbei wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Hierzu zählt beispielsweise, dass die Erhebung von Anamnese und Exploration der an den Hypothesen orientierten Strukturierung folgen. Wenn psychologische Testverfahren und Standardinterviews eingesetzt werden, um gutachtliche Hypothesen zu testen, sollen diese eine ausreichende (wissenschaftlich begründete) Testgüte aufweisen, während der Einsatz sog. projektiver Testverfahren, denen tiefenpsychologische Annahmen zugrunde liegen, nur explorationsunterstützend (vs. hypothesentestend) erfolgen darf. Die Ergebnisse sollen in einer nachvollziehbaren, d.h. nachprüfbaren Form dargestellt werden (hierzu zählt auch, dass Literaturhinweise und Testerklärungen gegeben werden) und schließlich sollen Befund (Diskussion der Hypothesen/Kriterien) und Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung nachvollziehbar aus den konkreten Ergebnissen der Begutachtung abgeleitet werden.
Darüber hinaus darf (auch anhand der Vorgaben der Berufsordnung) verlangt werden, dass Sachverständige, egal ob einzeln oder als Team tätig, Maßnahmen der Qualitätssicherung ihrer Arbeit regelmäßig vollziehen. Hierzu zählen u.a.: die regelmäßige Teilnahme an Fortbildungen und Fachtagungen, regelmäßige Fallsupervision und kollegiale Intervision sowie Kenntnis der aktuellen Fachliteratur. Das Qualitätsmanagement der Sachverständigentätigkeit soll auch Merkmale der sog. Strukturqualität erfassen, z.B. soll die Praxis erreichbar und angemessen ausgestattet sein und Richtlinien des Persönlichkeits- und Datenschutzes müssen eingehalten werden.
Die ethischen Richtlinien des BDP und der DGPs fordern für Gutachten und Untersuchungsberichte besonders die Sorgfaltspflicht. Hierzu formulieren die ethischen Richtlinien: „Allgemein gilt, dass die Erstellung und Verwendung von Gutachten und Untersuchungsberichten von Psychologen größtmögliche sachliche und wissenschaftliche Fundiertheit, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erfordert. Gutachten und Untersuchungsberichte sind frist- und formgerecht anzufertigen. Die föderativen Richtlinien für die Erstellung von Gutachten sind zu beachten“. Ferner wird Transparenz gefordert: „Gutachten und Untersuchungsberichte müssen für die Adressaten inhaltlich nachvollziehbar sein“. Hingegen wird über sog. Gefälligkeitsgutachten postuliert: „Gefälligkeitsgutachten sind nicht zulässig, ebenso wenig die Abgabe von Gutachten, die Psychologen durch Dritte ohne eigene Mitwirkung erstellen lassen“. Aber: „Stellungnahmen zu Gutachten von Kollegen sind zulässig, wobei die ethischen Richtlinien besonders zu beachten sind“. Zu den ethischen Grundsätzen der Arbeit der psychologischen Sachverständigen gehört es selbstverständlich auch, die Persönlichkeitsrechte der zu untersuchenden Personen zu achten. Hierzu zählt u.a. eine gründliche Aufklärung der Probanden im Sinne der informierten Einwilligung, z.B. über die Freiwilligkeit der Mitwirkung am Gutachten, die Schweigepflicht des Sachverständigen gegenüber Dritten und dessen Offenbarungspflicht gegenüber dem Gericht. Persönlichkeitsdiagnostik ist nur dann zulässig, wenn gewichtige fachliche Gründe hierfür bestehen (etwa zur Aufklärung von kindeswohlgefährdenden Faktoren, die in Fehlentwicklungen der Persönlichkeitsentwicklung eines Elternteils begründet sein können). Andererseits ist es zumeist zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Probanden mit wenigen Ausnahmen kaum sinnvoll, in einem Gutachten klinisch-psychologische Diagnosen zu stellen, zumal diese keine eigene inhaltliche Aussagekraft haben. Ein Elternteil ist nicht deshalb nicht erziehungsfähig, weil er beispielsweise unter chronisch wiederkehrenden Depressionen oder an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leidet. Deutlich sinnvoller ist es, die entsprechenden Probleme qualitativ zu beschreiben, z.B. zu erklären wie sich ein diagnostizierter Persönlichkeitsstil auf Erziehungskompetenzen eines Elternteils (oder auf andere diagnostische Kriterien) und damit auf die Eltern-Kind-Interaktion und -Beziehung auswirkt. Zur praktischen Arbeitsweise der Sachverständigen ist aus der Sicht des Rechtspsychologischen Forums Münster (RFM) folgendes anzumerken: In den familiengerichtlichen Verfahren bei Kindeswohlgefährdung (§1666 BGB) steht sicherlich die sorgfältige Diagnostik der Erziehungsfähigkeit der Kindeseltern und der Gefährdungen der Kinder im Vordergrund; es wird sich in der Regel bei einem Gutachten zur Kindeswohlgefährdung um ein streng diagnostisches Gutachten handeln.
Bei Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten hingegen befürworten wir einen lösungsorientierten Ansatz: Es liegt in der Regel im Kindeswohlinteresse, den Konflikt zu schlichten und den Eltern zu helfen, eine kooperative und einvernehmliche Lösung auszuhandeln. Der hierbei praktizierte Ansatz des RFM unterscheidet sich jedoch deutlich von der Praxis der sog. „lösungsorientierten Begutachtung“. Unser Ansatz folgt dem Lehrsatz der Psychotherapie: „Keine Intervention ohne Diagnostik“, wobei Intervention ein zielgerichtetes Eingreifen des Therapeuten (oder Sachverständigen) zur Veränderung der Situation bezeichnet. Wir verzichten hauptsächlich aus zwei Gründen nicht auf eine Diagnostik der beteiligten Eltern und Kinder: Erstens muss sich auch eine einvernehmliche Elternvereinbarung zuerst am Kindeswohlaspekt orientieren. Wir beraten die Eltern hinsichtlich am Kindeswohl orientierter Lösungsvorschläge, bringen die Sichtweisen und Erlebnisweisen der Kinder, deren Bedürfnisse, Konflikte und Belastungen in den Lösungsprozess ein und orientieren Lösungsvorschläge zuvorderst an allem, was für die Kinder tragfähig und entlastend ist. Zum Zweiten stellen wir fest, und das zunehmend, dass insbesondere chronifizierte elterliche Konflikte häufig mit problematischen Persönlichkeitsakzentuierungen und Kompetenzdefiziten der Eltern/eines Elternteils einhergehen und es dies bei möglichen am Kindeswohl orientierten Lösungen zu berücksichtigen gilt. Beispielsweise findet sich in familiengerichtlichen Verfahren häufiger eine Kollusion (eine psychologische Passung) eines abhängig strukturierten und eines narzisstisch geprägten Elternteils. Wenn in einer solchen Situation nur die Eltern zusammengesetzt werden nach dem Motto, „alles was die Eltern einvernehmlich beschließen ist gut für die Kinder“, dann sind problematische Lösungen wahrscheinlich, z.B. im konkreten Beispiel, dass der narzisstische Elternteil wie häufig zuvor in der Beziehungsgeschichte den abhängigen Elternteil dominiert. Problematisch ist, wenn „Lösungen“ sich mehr an den Bedürfnissen z.B. eines dominanten oder besonders bedürftigen Elternteils ausrichten. In diesem Sinne weisen wir die Diagnostikkritik mancher psychologischer Sachverständiger („wozu Diagnostik, diese Eltern waren doch auch vor dem Verfahren für die Kinder da“) zurück. Lösungsorientierte Begutachtung wird unsererseits befürwortet und praktiziert, immer aber zuvorderst am Kindeswohlaspekt ausgerichtet. Dieser Ansatz schließt die systemische Betrachtungs- und Arbeitsweise keineswegs aus, sondern die Diagnostik hat selbstverständlich die ganze Familie in ihren Interaktionen und Beziehungen im Sinne der systemischen Psychologie zu berücksichtigen, um der Komplexität der Situation und Konflikte gerecht werden zu können.